Bezahlbarer Wohnraum ist ein knappes Gut, auch in Offenbach. Das Mantra „Bezahlbaren Wohnraum schaffen“ tragen daher viele Kommunalpolitiker gerne vor sich her, allen voran die SPD und OB Dr. Schwenke im OB-Wahlkampf. Hier ein Beispiel1 einer Mitteilung der SPD-Fraktion. Dort zitiert die SPD ihre Fraktionsvorsitzende mit dem Spruch „Es ist daher selbstverständlich, dass wir nach der Wahl Wort halten und bei dem Thema bezahlbarer Wohnraum ständig am Ball bleiben“. Oder hier2 verspricht die SPD, bezahlbaren Wohnraum voranzutreiben.
Dieses Mantra wird nicht nur vollmundig in Wahlkämpfen verkündet, sondern auch gerne als Begründungen für Bauvorhaben angeführt. Tatsächlich gibt es viele Pläne für zukünftige Bebauungen, allerdings haben nur die wenigsten mit „bezahlbarem“ Wohnraum zu tun. Stattdessen sollen zahlungskräftige Steuerzahler angeworben werden. Das „bezahlbar“ ist nur ein Lippenbekenntnis.
Das Mantra unserer Stadtregierung ist nicht etwa „bezahlbare Wohnungen schaffen“, sondern stattdessen „Einwohnerzahl steigern, Bauland erschließen, Bauen“. Die Einwohnerzahl von Offenbach soll unbedingt weiter wachsen, obwohl sie schon viel schneller gewachsen ist, als es seinerzeit im Masterplan3 vorhergesehen war. Der Masterplan ging von der 130.000 Einwohnern im Jahr 2030 aus, tatsächlich sind es jetzt schon etwa 143.000. Dummerweise kann man das Stadtgebiet nicht weiter ausdehnen und seine Grenzen verschieben. Da hätten Mühlheim oder Heusenstamm wohl etwas dagegen. Und so müssen dann Naherholungsgebiete dran glauben und zu Bauland erklärt werden. Man munkelt auch, dass es Interessenten für einen neuen Masterplan gebe, damit in Zukunft noch mehr zugebaut werden kann.
Trotzdem liegen viele Baupläne brach, auf Baustellen herrscht Stillstand. Das liegt vor allem an den derzeit hohen Zinsen. Es ist unklar, wann Bauen wieder günstig ist. Um Investoren anzulocken, erlässt die Stadt ihnen sämtliche Auflagen für Sozial- und Niedrigpreiswohnungen, z.B. beim Projekt „Bauen am Ledermuseum“.4 „Mit einer Auflage für einen Anteil an bezahlbarem Wohnraum, würde ich nicht investieren.“, so die Aussage eines Investors.
Einige Beispiele für geplante Projekte, bei denen auch Wohnraum entstehen soll oder nicht soll, sind:
- Bebauungsplan Nr. 644 mit der Bezeichnung „Lebensmittelmarkt Buchhügelallee / Erlenbruchstraße“7: Hier geht es um Aufwertung, aber nicht um bezahlbaren Wohnraum. Die Bauarbeiten haben noch nicht begonnen.
- Bauvorhaben „Leben am Ledermuseum“:8 Bei diesem Projekt ist dem Investor die Auflage, einen Anteil bezahlbarer Wohnungen und öffentlich geförderter Wohnungen einzuplanen, erlassen worden. Auch die Entsiegelungsrichtlinie findet keine Anwendung.
- Kaiserlei Nordost:9 Es ist unbekannt, wie hoch der Anteil von geförderten oder bezahlbaren Wohnungen sein wird. Die Bautätigkeit ist nicht begonnen, das Gelände liegt brach.
- Vitopia Campus Kaiserlei (Adler-Gerippe):10 Hier sollen bezahlbare Studentenwohnungen entstehen, wir hoffen, dass das Projekt auch realisiert wird. Noch ist es nicht in trockenen Tüchern und die Bautätigkeit hat noch nicht beonnen.
- Liebig-Quartier im ehemaligen Postverteilzentrums mit Postfiliale und angrenzender Bestandsbebauung:11 Es ist unbekannt, wann dort überhaupt gebaut wird und ob es dort Auflagen für günstigen Wohnraum gibt.
- Die GBO hat Grundstücke12 bekommen, um dort u.a. auch günstigen Wohnraum zu schaffen. Wie groß der Anteil ist, ist unklar und steht nicht im Beschluss. Wann begonnen wird, ist unbekannt.
- Das Quartier 4.0,13 das auf der Brache hinter dem Ostbahnhof entstehen soll, liegt ebenfalls brach. Wann mit der Bautätigkeit begonnen wird, ist unklar.
- Auch in bester Lage ist Stillstand: An der Ecke Berliner Straße/Schloßstraße14 klafft eine riesige Brache. Laut Pressemitteilung des Investors soll es aber noch in diesem Jahr weiter gehen. Dass es in dieser Lage bezahlbaren Wohnraum geben wird, darf bezweifelt werden.
- Für einen Neubau an der Frankfurter Str. 54-62/Kaiserstr. 5215 gab es eine Bauvoranfrage, die auch im Gestaltungsbeirat am 09.12.2021 verhandelt worden ist. Diese Pläne sind vom Tisch und die bestehenden Gebäude sind weiterverkauft worden.
Es gibt es zudem auch große Mengen an leerstehendem und ungenutzten Büro- und Gewerberaum, die theoretisch auch Wohnraumpotential sein könnten.
Noch ein Riesenproblem ist unsere Infrastruktur, die für ein weiteres Wachstum der Bevölkerungszahl nicht ausreichend ist: Die Schulen und Kitas reichen nicht aus für eine Grundversorgung. Die Trinkwasserversorgung ist unklar, denn die Brunnen des ZWO sind am Limit5 und deshalb soll demnächst Wasser aus dem Ried zugekauft werden. Die Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand, viele Schulen renovierungsbedürftig, die Zahl der Lehrerinnen und Erzieher zu knapp, der ÖPNV ist nicht nur nicht ausgebaut, sondern stattdessen massiv zusammengekürzt, und die Verwaltung ist chronisch unterbesetzt und durch umständliche bürokratische Verfahren ausgebremst.
Es klaffen also Sein und Schein weit auseinander: Versprochen wird „bezahlbarer“ Wohnraum, gewünscht wird aber hochpreisiger Wohnraum, um ein eine gutverdienende Klientel anzulocken, passieren tut fast nichts. Die Mieten werden weiter steigen, die Infrastruktur wird noch weiter hinterherhinken.
Obwohl es viele Brachen, gestoppte Bauprojekte und Aufstockungspotential und leerstehenden Büroraum gibt, und obwohl die Infrastruktur schon für die 143.000 Einwohner und Einwohnerinnen nicht ausreicht, will unsere Stadtregierung unbedingt noch mehr Zuzug und dafür neues Bauland.
Deshalb haben wir eine Anfrage6 gestellt, um erst mal Klarheit und eine Diskussionsgrundlage zu schaffen, wieviel Wohnraumpotential es in Offenbach überhaupt gibt, wieviel davon „sozial“ ist und was wirklich in Zukunft erwartet werden kann. Hier6 geht es zu der Anfrage, nach einem Monat müssten wir in der Theorie eine Antwort bekommen.
Links in diesem Beitrag:
- SPD zu bezahlbarem Wohnraum am 16.03.2022: https://www.spd-offenbach.de/de/helena-wolf-spd-fraktion-spd-fraktion-bleibt-beim-thema-bezahlbarer-wohnraum-am-ball-c-5086-2–3-226-.html
- SPD verspricht, bezahlbaren Wohnraum voranzutreiben am 01.02.2021: https://www.spd-offenbach.de/de/martin-wilhelm-spd-fraktion-oberbuergermeister-schwenke-treibt-den-bau-bezahlbarer-wohnungen-voran-c-4960-2—-.html
- Masterplan Offenbach: https://www.offenbach.de/medien/bindata/of/bauen-wohnen/masterplan_/160303_Broschuere-Masterplan-Offenbach.pdf
- Bauen am Ledermuseum: https://pio.offenbach.de/index.php?aktiv=doc&docid=2023-00019581&year=2023&av_dokument_id=19581&view=
- Bericht aus der 26. Sitzung vom 30.11.2023: Beitritt zum Wasserverband Hessisches Ried: https://www.ofa-ev.de/26-sitzung/#wasser
- Anfrage: Wohnraumpotential in Offenbach vom 13.02.2024: https://www.ofa-ev.de/anfrage-wohnraumpotential-in-offenbach/
- https://pio.offenbach.de/index.php?aktiv=doc&docid=2022-00018442&year=2022&av_dokument_id=18442&view
- https://pio.offenbach.de/index.php?aktiv=doc&docid=2023-00019581&year=2023&av_dokument_id=19581&view=
- https://www.offenbach.de/medien/bindata/of/bauen-wohnen/kaiserlei_/Praesentation-zur-PM-Buerogebaeude-Kaiserlei-Viertel.pdf
- https://www.skylineatlas.de/vitopia-campus/
- https://pio.offenbach.de/index.php?aktiv=doc&docid=2020-00016744&year=2020&av_dokument_id=16744&view=
- https://pio.offenbach.de/index.php?aktiv=doc&docid=2022-00018655&year=2022&av_dokument_id=18655&view=
- https://www.quartiervierpunktnull.de/
- https://www.op-online.de/offenbach/lage-stillstand-in-bester-92429404.html
- https://www.offenbach.de/medien/bindata/of/bauen-wohnen/gestaltungsbeirat/211209_Protokoll_GBR_oeff.pd
