15.09.2023
Az.: Dez. IV 60.1.1
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
die Fraktion der Ofa hat o. g. Anfrage an den Magistrat gerichtet, hierzu wird wie folgt berichtet:
„Vorbemerkung:
Am 24.03.2022 erklärte Herr Stadtrat Paul-Gerhard Weiß in seiner Antwort auf unsere Anfrage „Schadstoffemissionen am Mainufer reduzieren“, dass „festzustellen sei, dass die alleinige Zuständigkeit für eine Landstromversorgung für die Schifffahrt derzeit beim Bund verortet ist.“ Dies lässt außer Acht, dass die Stadt selbstverständlich beim Schifffahrtsamt eine Genehmigung für Stromanschlüsse beantragen kann und diese dann auch bekommen wird, wie uns das Schifffahrtsamt in einer Mail vom 24.01.2022 bestätigt hat:
„Sofern die Stadt Offenbach die Liegestellen mit Stromanschlüssen ausstatten möchte, habe ich hier grundsätzlich keine Einwände. Neben der hierfür notwendigen strom- und schifffahrtspolizeilichen Genehmigung gemäß § 31 Bundeswasserstraßengesetz ist auch eine wasserrechtliche Genehmigung seitens der Unteren Wasserbehörde notwendig. Da in diesem Bereich am Mainufer in Kürze seitens der Stadt Offenbach eine größere Deichsanierung ansteht, ergeben sich durch die umfangreichen Erdarbeiten für die Deichsanierung evtl. Synergieeffekte, die beim Verlegen der notwendigen Stromleitungen zwischen Deich und Ufer genutzt werden können. Sofern die Stadt Offenbach den Planungen näher tritt, stehe ich Ihnen gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.“
Am 27.01.2022 erfolgte der Beschluss 2021-26/DS-I(A)0916/3 der Stadtverordnetenversammlung, dass der Magistrat in Gespräche mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt eintreten und sich für eine Landverstromung einsetzen soll.
In den Jahren 2023 bis 2025 sollen an verschiedenen Abschnitten des Deiches auf Offenbacher Stadtgebiet umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden.“
Antwort:
Die Anfrage nimmt Bezug auf den Beschluss 2021-26/DS-I(A)0916/3 der Stadtverordnetenversammlung vom 27.01.2022, dass der Magistrat in Gespräche mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt eintreten und sich für eine Landverstromung einsetzen soll.
Nachstehend werden die Ergebnisse der Recherchen zum Thema „Landstrom“ zusammengefasst.
Landstromanschlüsse für die Binnenschifffahrt dienen der Stromversorgung der anlegenden Schiffe und sollen die Lärm- und Schadstoffimmissionen am Anlegeort durch Dieselgeneratoren, insbesondere im Sinne des Umweltschutzes, reduzieren.
Hierfür zu klärende Sachverhalte:
- Technische Voraussetzungen
- Kosten Betreiber und Abnehmer
- Rechtliche Bestimmungen und Pflichten
- Kosten-Nutzen-Vergleich
- Förderung
- Beteiligte
Technische Voraussetzung
In der Regel wird für die Binnenschifffahrt ein 16-, 32- oder 63-Ampere-Anschluss (fünfpolig) benötigt. Ausgenommen sind hiervon Hotel- und Kreuzfahrtschiffe, diese benötigen in der Regel 800 Ampere. Für die Bereitstellung der Energieversorgung werden freie Kapazitäten in Umspannanlagen möglichst in der Nähe benötigt, d. h. diese müssten ggf. erweitert respektive neu geschaffen werden.
Die Stromübergabe erfolgt durch sogenannte Energieterminals. Die Energieterminals müssen im Uferbereich stehen. Da dieser in Offenbach als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist und eine Naherholungszone darstellt, wäre eine Unterflurvariante zu favorisieren. Weiterhin kreuzt der hessische Fernradweg R3 und Mainradweg den Bereich zwischen den Anlegestellen und Umspannanlagen. Zur Konfliktvermeidung wäre eine gewässernahe Anlage der Energieterminals mit unterirdischer Stromversorgung vorzuziehen. Vorhandene Trassen wären zu prüfen und zu beachten. Die Energieterminals würden sich im Bereich des Überschwemmungsgebiets (vgl. Rechte und Pflichten) der Stadt Offenbach befinden, so dass eine hochwassersichere Ausführung bei der Planung essenziell ist. Der Uferbereich ist ein öffentlicher Raum, daher muss ein Schließsystem den Zugriff der Energieterminals regeln. Die Energieterminals müssen von den Nutzern selbständig bedienbar sein und falsche Bedienung ausgeschlossen werden.
Kosten Betreiber und Abnehmer
Um die bisher schwach nachgefragte Landstromnutzung attraktiver zu gestalten, wurde der EEG-Aufschlag auf den Strompreis für die Schifffahrt auf 20 % begrenzt. Sollte für die Abnehmer keine Verpflichtung zur Nutzung des Landstromanschlusses bestehen, würden diese vermutlich aus Kostengründen auch weiterhin nicht in Anspruch genommen. Dies gilt vor allem, da es kein einheitliches Anschlusssystem gibt, so dass ggf. selbst unter Verpflichtung eine hundertprozentige Nutzung aufgrund der Inkompatibilität einiger Systeme nicht gewährleistet ist.
Für die Abrechnung der Kosten ist ein Bezahlsystem einzuführen. Anderorts wurden in der Vergangenheit sogenannte Prepaid-Karten an ausgewiesenen Stellen erworben und am Terminal eingelöst. Zurzeit etablieren sich Bezahlsysteme per App (z. B. „Walstroom“), die eine bequemere und unaufwendigere Nutzung ermöglichen, wodurch die Akzeptanz steigt. Bei diesen Systemen ist jedoch das Mess- und Eichwesen zu berücksichtigen, welches mit einem umfangreichen Verfahren und großem Aufwand verbunden ist.
Alternativ könnte die Liegegebühr mit einer Strompauschale bei einer Ausweisung als Hafen im Sinne der HafenGefabwVO in Frage kommen. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes hat bei einem Pilotprojekt in Duisburg jedoch die Erfahrung gemacht, dass bei wenig frequentierten Anlegepunkten ein wirtschaftlicher Betrieb nicht darstellbar ist und in keiner Relation zwischen Kosten und Nutzen liegt.
Im Sinne der Luftreinhaltung wäre ein kostenloses Angebot denkbar und würde den Anreiz zur Landstromnutzung deutlich erhöhen sowie zumindest den Unterhaltungsaufwand gegenüber der Abrechnungsvariante verringern.
Die Frage des Betreibermodells für einen Hafen wäre vor Beginn einer technischen Planung zu klären.
Rechtliche Bestimmungen und Pflichten
Eine Verpflichtung zur Landstromnutzung erfolgt nur im Rahmen der Hafengefahrenabwehrverordnung (HafenGefabwVO). Hierzu müsste ein Hafengebiet im Sinne der HafenGefabwVO im Einvernehmen mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt Aschaffenburg ausgewiesen werden. Die HafenGefabwVO gilt nicht für die Sport- und Freizeitschifffahrt und wäre damit für diese nicht verbindlich. Mit der Ausweisung eines Hafengebiets gehen Pflichten (u. a. Überwachung, Haftung, Reinigung, Wartung etc.) für den Betreiber einher. Betreiber gemäß § 42 (2) der HafenGefabwVO ist:
„(4) Betreiberin oder Betreiber eines Hafens im Sinne des Dritten Teils ist der Rechtsträger, durch den die Bewirtschaftung der zusammenhängenden Land- und Wasserflächen und deren Hafeninfrastrukturen erfolgt. Dem stehen Rechtsträger gleich, in deren Eigentum oder Verfügungsberechtigung
1. Anlegestellen im Hafen stehen, die als Warteplätze für Schiffe ausgewiesen sind und genutzt werden können oder
2. Grundstücke stehen, die innerhalb des Hafenbereichs liegen.“
Sollte die Stadt Offenbach Grundstücke innerhalb des auszuweisenden Hafenbereichs besitzen, ist ihre Betroffenheit nach o. g. Paragraphen gegeben. Ggf. sind vertragliche Regelungen respektive Verwaltungsvereinbarungen mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt Aschaffenburg zu treffen.
Im Gebiet der Stadt Offenbach befinden sich neun Anlegestellen zwischen dem Zentrum und Rumpenheim. Diese befinden sich überwiegend im Landschaftsschutzgebiet (LSG) Hessische Mainauen. Inwieweit die baulichen Maßnahmen die Gebote und Verbote der LSG-Verordnung tangieren, lässt sich abschließend nur klären, wenn eine detaillierte Planung vorliegt. Zudem kann die Vorhaltung dieser Infrastruktur eine stärkere Frequentierung des LSG durch mehr anlegende Berufs- und Hotelschifffahrt bewirken sowie stärkere Fahrverkehre auf dem Mainuferweg, vor allem durch ausgesetzte PKW der Berufsschifffahrt, auslösen. Damit würden Ruhe und Erholungsfunktion des LSG beeinträchtigt sowie verkehrliche Konflikte auf dem stark genutzten Mainradweg ausgelöst.
Die Anlegestellen befinden sich zudem im Bereich des Überschwemmungsgebiets des Mains. Das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz WHG) ist zu beachten (ggf. § 78 „Bauliche Schutzvorschriften für festgesetzte Überschwemmungsgebiete“).
Kosten-Nutzen-Vergleich
Ein belastbarer Kosten-Nutzen-Vergleich kann aufgrund der vielen unbekannten Faktoren noch nicht aufgestellt werden.
Einzubeziehende Faktoren wären jedoch:
- Erreichbare Fallzahlen und potenzielle Einsparung an Immissionen/ Umweltschutz,
- Planungsaufwand, Herstellungskosten, laufende Kosten und Verfügbarkeit von Fördermitteln als Faktoren für einen wirtschaftlichen Betrieb,
- konkretisierte Planung, Anpassung der Ausführungsplanung, Genehmigungslage (z. B. Verträglichkeit LSG) und evtl. erweiterte Folgeverpflichtungen der Stadt (s. o. HafenGefabwVO).
Förderung
Derzeit ist keine Fördermöglichkeit bekannt.
Bei weiterer Planung zu Beteiligende
- Wasser- und Schifffahrtsamt Aschaffenburg
- Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes
- Obere Wasserbehörde beim Regierungspräsidium Darmstadt
- Amt 32 als Hafenbehörde
- Amt 33 Umweltamt
- Amt 60.1 Bauverwaltung
- Amt 60.2 Straßen, Plätze, Grün (Trassen, Grünflächen)
- Amt 60.3 Stadtentwicklung und Städtebau (Stadtentwicklung, Stadtplanung)
- Amt 82 Amt für Mobilität, Straßenverkehrsbehörde
- ESO
- ENO
- Ggf. weitere Leitungsträger
- Feuerwehr
- Ggf. Verein für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen e. V. (VBW)
- Der zukünftige Betreiber des Hafens
Fazit
Eine abschließende Empfehlung ist unter den oben genannten Punkten nicht möglich.
So gilt es vorab zu entscheiden,
- ob zwischenzeitlich ausreichend Fallzahlen vorliegen bzw. das Projekt ohne eine solche Grundlage zurzeit weiterverfolgt werden soll,
- welches Betreibersystem gewählt wird bzw. welche Organisation mit den dafür nötigen Ressourcen den Hafen betreiben soll und
- welche Systeme, sowohl bei der Technik als auch bei der Bezahlung, bevorzugt werden.
Die Weiterverfolgung dieser Fragen ist ein eigenständiges Projekt, bei dem wie dargestellt zahlreiche Ämter, Behörden und Institutionen einzubinden wären. Sollte ein Landstromanschluss weiterverfolgt werden, müsste dies als Projekt in das Arbeitsprogramm und den Haushalt aufgenommen sowie Prioritäten in laufenden oder bevorstehenden Projekten entsprechend angepasst werden.
Diese Erläuterungen vorausgeschickt folgen nachstehend die Antworten zu den gestellten Fragen.
Frage 1:
Wann haben seit dem 27.01.2022 Gespräche mit dem Schifffahrtsamt stattgefunden?
Frage 2:
Wer hat mit wem kommuniziert?
Frage 3:
Was war das Ziel der Gespräche? Eine Genehmigung für Stromanschlüsse? Eine Finanzierungshilfe? Oder eine komplette Kostenübernahme von Dritten?
Frage 4:
Was sind die Ergebnisse der Gespräche?
Antwort zu Frage 1-4:
Nach der klaren Aussage der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, dass eine Landstromversorgung von dortiger Seite nicht geplant sei, wurde kein erneuter Kontakt aufgenommen.
Frage 5:
Sollen nun bei den umfangreichen Sanierungsmaßnahmen auch Stromleitungen verlegt werden?
Antwort zu Frage 5:
Es werden keine zusätzlichen Stromleitungen verlegt. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen zur Ertüchtigung des Maindeichs den Bereich des parkartig gestalteten Mainufers nur am Rande betreffen. Leitungsverlegungen würden hingegen massiv in diesen Bereich eingreifen. Um sich die Option auf eine spätere Verlegung von Leitungen offen zu halten, könnten allenfalls zusätzliche sogenannte Durchörterungen des Deichs vorgesehen werden.
Frage 6:
Wenn nicht, warum nicht?
Antwort zu Frage 6:
Siehe hierzu Frage 5 und Vorbemerkungen.
Mit freundlichen Grüßen
Paul-Gerhard Weiß
Stadtrat