von Annette Schaper-Herget



Die Idee für dieses Motiv stammt vom ehemaligen Regensburger Stadtverordneten Jakob Friedl1

Reden und Abstimmverhalten in der Stadtverordnetenversammlung

Wie kommen politische Entscheidungen in Offenbach zustande? Einige Stadtverordnete oder eine Fraktion stellen einen Antrag und dann überlegen und debattieren alle, ob sie den gut finden oder nicht und stimmen darüber entsprechend ab? Natürlich muss man sich mit der Begründung eines Antrags Mühe geben und gute Argumente finden, die die Kolleginnen und Kollegen überzeugen. Dann müsste es doch möglich sein, Mehrheiten zu finden, oder?

Nein, wer sich das so vorstellt, ist naiv! So läuft das bei uns nicht! Reden in der Stadtverordnetenversammlung dauern zwar lange, aber eigentlich sind sie Schall und Rauch, denn sie ändern überhaupt nichts mehr am Abstimmverhalten. Außer bei Ofa, denn wir lassen uns von guten Argumenten überzeugen. Das Abstimmverhalten der anderen ist aber längst vorher entschieden, und zwar in den Fraktions- und Koalitionssitzungen. Tatsächlich stimmen die drei Koa-Fraktionen SPD, Grüne und FDP immer geschlossen ab, völlig unabhängig davon, welches Für und Wider es zu einem Antrag gibt oder ob der Antrag überhaupt zu ihrer Agenda passt. Ein Prinzip dabei ist, Anträge der Opposition grundsätzlich nicht anzunehmen, oder zumindest so abzuändern, dass sie dann als Koa-Anträge gelten. Links zu einigen Beispielen von Antragsklau und Abfangjägern finden sich im nebenstehenden Kasten. Es geht nur ums Gewinnen und nicht um die Sache.

Beispiele für Ofa-Anträge, die mit Abfangjägern und Antragsklau durchgekommen sind.

Das kommt dann dabei raus

So kann man beispielsweise erklären, warum die Grünen für die Abholzung des Rands des Lohwalds stimmen, um eine neue innerstädtische Straße an der B4487 zu bauen, die uns noch mehr Autoverkehr in die Stadt hinein bescheren würde. Oder für die Bebauung eines noch naturbelassenen Gebiets in Bieber-Waldhof,8 oder für ein Bauprojekt am Ledermuseum,9 das 90 % der Fläche versiegeln und das Mikroklima aufheizen wird, oder für eine autofreundliche und fußgängerfeindliche Ampelschaltung,10 oder gegen mehr Entscheidungsspielraum der Stadt11 für die Festlegung von Höchstgeschwindigkeiten, oder gegen eine Katzenschutzverordnung,12 oder gegen den Einbau von Stromleitungen in den Deich,13 damit die Schiffe mit ihren Diesel-Aggregaten nicht die Luft verpesten, oder gegen die Nutzung der Abwärme des neuen Rechenzentrums14 für das Quartier 4.0., oder eine Evaluierung des Konzepts „Mensch+Natur“, oder gegen die Entwicklung einer Stadtbegrünungssatzung15 uvm.


Wer ist für mehr Autoverkehr und das Zubauen unserer Stadt? Die FDP und auch viele SPD-ler, aber die Grünen ursprünglich eigentlich nicht. Dafür haben viele Leute sie ja auch gewählt. Umgekehrt geht es aber auch: Z.B. haben die FDP und die SPD für die Radspur auf der Waldstraße gestimmt, obwohl sie eigentlich dagegen sind, wie der Presse durchgestochen worden ist. Die meisten Stadtverordneten lesen Anträge gar nicht mehr, sondern stimmen nur so ab, wie es ihnen vorgegeben wurde, denn ihre persönliche Meinung zählt ohnehin nicht. Die Folge ist, dass das Für und Wider der Anträge nicht mehr qualifiziert erörtert wird, weil die meisten keine Ahnung haben. Es werden falsche Dinge behauptet, und es ist mühselig für Ofa, Behauptungen zu recherchieren und ihnen zu widersprechen. Mit dem Gewissen der Kolleginnen und Kollegen, wie es im Grundgesetz (Artikel 38) steht, hat das nichts mehr zu tun.

Warum setzt sich die kleinste Koa-Fraktion durch?

Die FDP ist eine sehr kleine Fraktion, ihre Mitglieder zählen weniger als die Hälfte der Grünen-Mitglieder. Trotzdem setzt sich ihre Agenda fast immer durch. Wie kann das sein? Sind die Stadtverordneten der anderen Koa-Fraktionen zu faul? Oder teilen sie insgeheim die FDP-Positionen? Bei einigen SPD-lern und unserem Oberbürgermeister trifft das vermutlich zu. So müssen wir befürchten, dass in den nächsten Jahren unsere Offenbach immer mehr zugebaut und versiegelt wird und viele dann den Hitzetod sterben. Dazu und zu den Plänen eines neuen Masterplans wird es von uns bald einen eigenen Beitrag geben.

Man munkelt, dass in den Fraktionssitzungen heftig gestritten werde, bis alle eingenordet sind und kapiert haben, wo es lang geht. Auch dort soll es Ansagen von oben geben, die dann an die Basis weitergereicht werden.

Entscheidungen werden in Hinterzimmern vorbereitet. Was dort genau abläuft, wissen wir nicht, denn das ist natürlich intransparent. In die Entscheidungen einbezogen werden vor allem Investoren und Lobbyisten. Schwenke sagte einmal, dass Firmen, die irgendwo Schwierigkeiten sähen, sich nur vertrauensvoll an ihn wenden sollten, er regele das dann schon (In der Fragerunde der Podiumsdiskussion in der Alten Schlosserei zur OB-Wahl, veranstaltet von der Offenbach-Post). Wer die Investoren und Lobbyisten sind und wer sie eher nicht sind, wissen wir in den meisten Fällen auch nicht, können es uns aber manchmal denken. Manche Infos zu Projekten sind dann „nichtöffentlich“. Wir können sie zwar sehen, dürfen aber nicht öffentlich darüber berichten. Anträge sehen wir erst, wenn alles im Prinzip schon eingetütet ist, genau wie die Basis der Koa-Parteien.

Es regieren also wenige, die anderen sind die Untertanen und müssen gehorchen. Stimmvieh, das keine dummen Fragen stellt, ist den Chefs am liebsten.

Könnte man abhelfen? Das Beispiel Riedstadt

Wir haben es also mit einem Strukturproblem und einer Degeneration unserer Politik zu tun. Gegen den Fraktionszwang haben wir ja schon gewettert, siehe hier.16 Aber selbst, wenn man ihn beibehält, sähe es schon ganz anders aus, wenn es keine Koalition und keine Koalitionszwang geben würde. Ist das eine Utopie? Nein, das gibt es nämlich woanders schon, z.B. in Riedstadt.17

Die Riedstädter Stadtverordnetenversammlung hat 37 Sitze, die sich folgendermaßen verteilen: CDU 10 Sitze, SPD 10 Sitze, BfR 7 Sitze, GRÜNE 6 Sitze, FW 2 Sitze, die AfD hat 1 Sitz (ohne Fraktionsstatus), dazu kommt ein weiterer fraktionsloser Stadtverordneter. Die fünf Fraktionen müssen für jedes Thema Kompromisse und Mehrheiten suchen.

Das stellen wir uns sehr sinnvoll vor. Die Mehrheiten werden zwar auch schon vor der offiziellen Sitzung ausgehandelt, aber man ist aufeinander angewiesen und muss miteinander reden. Dabei werden dann tatsächlich Argumente ausgetauscht, die Beteiligten steigen tiefer in die Materie ein und informieren sich. Es werden dumme Fragen gestellt, aber die müssen dann auch beantwortet werden.

Wir haben auch schon versucht, mit den Koa-Fraktionen ins Gespräch zu einem Antragsvorschlag zu kommen, um den fraktionsübergreifend gemeinsam zu stellen. Leider sind wir gescheitert. Die Grünen haben immerhin höflich geantwortet und uns auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, weil sie erst ihre Fraktionssitzung abwarten mussten und nicht auf andere Weise vorher miteinander kommunizieren. Die SPD hat die Zeit stattdessen genutzt, um mit Betroffenen, von denen wir uns eine Empfehlung erhofft hatten, zu reden. Daher kam deren Empfehlung dann auch nicht, und erst nach dieser Absage hat die SPD eine Antwort geschickt, dass man wegen der fehlenden Empfehlung auch kein Interesse an dem Antrag habe. Die FDP hat gar nicht geantwortet, wie bisher bei allen Mails, die wir an sie geschickt hatten.

Wenn man für jeden Antrag die Mehrheiten einzeln aushandeln würde, sähe das anders aus. Es würden nicht nur die drei Koa-Fraktionen miteinander verhandeln, sondern alle. Die Koa-Fraktionen müssten nicht mehr gemeinsam stimmen, sondern es gäbe wechselnde Mehrheiten, je nach Thema. Die Abstimmungsergebnisse wären dadurch ehrlicher und alle wären wieder glaubwürdiger für ihre Wähler. Dies wäre aber mit einem Machtverlust für FDP und SPD verbunden, die nicht mehr einfach so durchregieren können wie bisher. Daran haben sie natürlich kein Interesse.

Was kann Ofa überhaupt bewirken?

Ja, wenn Ihr immer überstimmt werdet, wie könnt Ihr denn dann überhaupt etwas bewirken? Diese Frage stellen uns vor allem Leute, die der Politik nicht mehr viel zutrauen. Und das werden immer mehr. Wir beobachten ja eine zunehmende Politikverdrossenheit und eine Abkehr von den etablierten Parteien. In Offenbach sinkt die Wahlbeteiligung immer weiter.

Wir von Ofa bleiben trotzdem optimistisch. Wir nutzen die Rechte, die wir haben, um die Demokratie zu stärken. Das sind für uns auch mehr Transparenz und ehrliche und fundierte Debatten. Deshalb stellen wir viele Anfragen (siehe hier18). Wenn wir mit einer Antwort nicht zufrieden sind, weil sie ausweichend und widersprüchlich ist, fragen wir noch mal nach. Das zwingt den hauptamtlichen Magistrat zu mehr Ehrlichkeit und Transparenz, und oft auch zur Umsetzung von Beschlüssen, die sonst in der Versenkung verschwunden wären.

Auch den Antragsklau bewerten wir als Erfolg, denn dadurch werden ja Dinge in Gang gesetzt, die wir wollen und die sonst nicht passiert wären. Auch sorgen wir dafür, dass Themen nicht in Vergessenheit geraten, wir bleiben dran.

Ohne uns gäbe es z.B. keinen Stream der Stadtverordnetensitzungen, keine Richtlinie zur Förderung von Freifunk, kein Portal für Nutzung der Informationsfreiheitssatzung und auch nicht einige weitere Fortschritte, die es nicht gegeben hätte, wenn wir nicht mit dem Finger darauf gezeigt hätten.

Wir fühlen uns den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Deshalb berichten wir immer ausführlich über alle Sitzungen der Stadtverordneten, und wir veröffentlichen alle unsere Anträge, Anfragen und die Antworten darauf. Wir bleiben auch dran an der Verbesserung der Demokratie, fordern mehr Ehrlichkeit in den Debatten, mehr Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung.

Bisherige Ofa-Beiträge zum Thema Demokratie



Links in diesem Beitrag:

  1. Jakob Friedl: Koalitionszwang? https://ribisl.org/koalitionszwang/
  2. https://www.ofa-ev.de/27-sitzung/#informationsfreiheitsportal
  3. https://www.ofa-ev.de/20-sitzung/#Digitalisierung
  4. https://www.ofa-ev.de/11-sitzung/#Freifunkfoerderung
  5. https://www.ofa-ev.de/8-sitzung/#Visualisierung
  6. https://www.ofa-ev.de/8-sitzung/#Transparenz
  7. https://www.ofa-ev.de/12-sitzung/#B448
  8. https://www.ofa-ev.de/31-sitzung/#sem
  9. https://www.ofa-ev.de/24-sitzung/#ledermuseum
  10. https://www.ofa-ev.de/11-sitzung/#Fu%C3%9Fgaengerampelschaltungen
  11. https://www.ofa-ev.de/21-sitzung/#lebenswerte Entscheidungsspielraum der Stadt
  12. https://www.ofa-ev.de/30-sitzung/#katzenschutzverordnung
  13. https://www.ofa-ev.de/26-sitzung/#deichverstromung
  14. https://www.ofa-ev.de/16-sitzung/#Rechenzentrum
  15. https://www.ofa-ev.de/29-sitzung/#stadtbegruenungssatzung
  16. https://www.ofa-ev.de/2023/10/16/was-wird-aus-unserer-demokratie/
  17. https://www.riedstadt.de/stadt/politik/riedstaedter-politik.html
  18. https://www.ofa-ev.de/2024/06/04/warum-stellen-wir-anfragen/



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