von Annette Schaper-Herget
Gretchen:
Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles, alles denken kann!
Beschämt nur steh ich vor ihm da
Und sag zu allen Sachen ja.
Aus Johann Wolfgang von Goethe: Faust 1
Ich habe ja ein langes Berufsleben mit vielen Begegnungen hinter mir: Gemeinsame Projekte mit Kolleginnen und Kollegen, internationale Fachtagungen, Politikberatung usw.. Die meisten Menschen, mit denen ich zu tun hatte, waren Männer. Die meisten waren ausgesprochen nette, intelligente und angenehme Zeitgenossen und -genossinnen, mit einigen bin ich immer noch befreundet. Aber natürlich habe ich viel erlebt, was Männer so nicht kennen, hier ein paar Beispiele:
- Als ich schon promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterin war, stand ich mit meinem damaligen Chef in seinem Büro. Da erschien ein Besucher, zog seinen Mantel aus und hielt ihn mir hin. (Der Chef hat zum Glück großartig reagiert, riss dem Besucher den Mantel weg und stellte ihm mich und mein Projekt vor.)
- In einem Computerladen an der Kasse fragt mich der Kassierer: „Haben Sie einen Mann zuhause, der Ihnen dieses Teil einbaut?“
- Ein Politikwissenschaftler wollte mir, Physikerin, spezialisiert auf technische nukleare Abrüstung, erklären, wie Kernwaffen funktionieren, ließ sich nicht unterbrechen.
- In einem Kurs (Physikpraktika für angehende Mediziner) erklärte ein Student zu Beginn: „Ich hätte lieber einen anderen Kurs mit einem Mann, Frauen können doch keine Physik.“
- Zu Beginn meiner Doktorarbeit erklärte mein Betreuer als erstes: „Ich hatte ja noch nie eine Frau, aber ich will es mal versuchen. Dass Sie mir nur nicht schwanger werden!“
- In einer Konferenz unterbrach ein Mann meinen Vortrag und wollte mir einen Sachverhalt erklären. Ich solle erst mal ein bestimmtes Papier lesen. Das war meine eigene Publikation.
Eine Pest des menschlichen Miteinanders sind die sogenannten Mansplainer, sie tauchen nicht nur im Berufsleben auf, sondern überall. Hier ein paar weitere Beispiele:
- Der Chef einer Rehaklinik in einem weißen Kittel hält einen Vortrag vor etwa 50 Frauen, die meisten schon etwas älter mit viel Lebenserfahrung, Schwangerschaften, Krankheiten usw., auch Medizinerinnen darunter. Erklärt ihnen, welche Gefühle bei ihnen von Östrogenen ausgelöst werden. Dazu ständig Sprüche wie „merken Sie sich das!“
- An einem Infostand für eine Wahl belehrte mich ein Mann, dass die Piratenpartei frauenfeindlich sei. Er selbst war dort nie Mitglied, ich damals schon. Er ließ nicht gelten, dass ich als Frau in dieser Partei vielleicht mehr Erfahrungen als er hatte….
- Als wir neu gewählte Stadtverordnete waren, sollte es eine Absprache mit allen Fraktionen geben. Wen haben die Initiatoren dafür kontaktiert? Alle Fraktionsvorsitzenden, die Männer waren, aber aus den Fraktionen, die eine Frau als Vorsitzende hatten, sprachen sie stattdessen einen männlichen Kollegen an. (Immerhin haben sich einige Initiatoren später nach Protesten entschuldigt.)
Es gibt leider sehr viele Männer, die zu gerne Frauen die Welt erklären. Das ist ein systematisches Problem, denn dahinter steckt eine Rollenzuschreibung, nämlich dass Männer einen anderen Status haben und überlegen seien. Mit Hilfe herablassenden Erklärens versuchen sie, den Status aufrecht zu erhalten und sich weiterhin überlegen zu fühlen. Mansplaining ist oft nicht bewusst, aber es ist eine Art von Alltagssexismus, die den wenigsten auffällt. Manchmal haben Männer ein Problem, wenn der überlegene Status zu wackeln droht, dazu wieder eine Anekdote:
- An der Bar an einem Tanzabend kommt man ins Gespräch, auch über die beruflichen Tätigkeiten. Als der Mann hört, dass die Frau einen Doktortitel hat, gefriert sein Lächeln: „Ich hatte auch mal beinahe eine Doktorstelle, aber dann wurde mir eine Quotenfrau vorgezogen!“ Danke auch für diese Beleidigung! Der Erfolg einer Frau kann also nur mit unfairen Mitteln zustande gekommen sein?
Kommen wir zum Frauentag: Da geht es um Wichtigeres als nur Kränkungen wegen fehlender Anerkennung. Es geht um Gewalt gegen Frauen, ungleiche Chancen, ungleiche Bezahlung, Altersarmut vor allem von Frauen und mehr. Aber es geht auch um patriarchale Strukturen und ungleiche Machtverhältnisse, und diese sind die Wurzel allen Übels. Mansplaining ist da nur ein Symptom. Wir müssen diese patriarchalischen Strukturen aufbrechen, die immer noch tief in vielen Köpfen verankert sind.
Und hier ein letztes aktuelles Beispiel: Offenbach hat eine Gleichstellungskommission und eine Frauenbeauftragte, die großartige Arbeit leistet und viel bewegt. Zum Frauentag gibt es jedes Jahr ein Foto mit allen Mitgliedern und Vertreterinnen der Gleichstellungskommission, ein Foto mit vielen Frauen!1 Nur Frauen? Nein, ein einziger Mann ist mit auf dem Foto, nämlich Herr Oberbürgermeister Dr. Schwenke. Das ist OK, auch Männer sollten sich für ein Aufbrechen von patriarchalischen Strukturen stark machen. Auch auf einem Ofa-Plakat zur OB-Wahl mit dem Titel „Frauenstimmen für Frauenrechte!“ posierten sowohl Frauen als auch Männer.
Nicht OK ist es allerdings, dass im Text der Pressemitteilung1 der Stadt zum Thema Frauentag und Frauenrechte nicht etwa die Frauenbeauftragte zitiert wird, sondern stattdessen der Herr OB, der offensichtlich besser weiß, was für die Emanzipation und Frauenrechte gut ist. Ein klassisches Beispiel für Mansplaining und leider ein fatales Symbol.
Link auf dieser Seite:
- Foto und Pressemitteilung der Stadt zum Frauentag 2023: https://www.offenbach.de/buerger_innen/familie_soziales/frauen_und_maedchen/meldungen/frauentag-gruppenfoto09.03.2023.php
Ich wurde darauf hingewiesen, dass es zwei Tage vor dem Frauentag 2023 schon eine PM der Stadt gab, in dem auch die Frauenbauftragte mit einem kleinen Zitat weiter unten im Text auftritt: „Der lange Marsch für mehr Gleichstellung“ https://www.offenbach.de/buerger_innen/familie_soziales/frauen_und_maedchen/meldungen/frauenbuero-8-maerz06.03.2023.php, 06.03.2023
Heute ist die PM zum Frauentag 2024 veröffentlicht worden: https://www.offenbach.de/presse/pressemeldungen/pressemeldungen-maerz/pressemeldungen-KW11/frauentag-gruppenfoto11.03.2024.php
Sie beginnt mit einem ausführlichen Zitat des Chefs. Immerhin darf die Frauenbeauftragte in diesem Jahr mit einem weiteren Zitat „ergänzen“.