Michel Heilmayer
Nun ist das Magistratskonzept also beschlossen und ich will das Geschehen mit einem Bild umschreiben:
Wir Bürger und Bürgerinnen müssen jetzt eine Suppe auslöffeln. Diese Suppe hätte man ohne großen Aufwand noch bekömmlicher für alle machen können, und zwar bevor sie auf dem Tisch kommt. Leider wurde sie uns aber schon serviert, bevor sie überhaupt fertig abgeschmeckt war. Erst nach vielen Beschwerden hat man noch mal nachgewürzt und noch mal irgendwie abgeschmeckt, ohne sich wirklich Mühe zu geben. Aber die Suppe schmeckt immer noch nicht. Welche Überraschung, man muss nochmals nachwürzen. Aber so wird es kein Meisterwerk mehr. Kein guter Koch würde etwas rausschicken, obwohl er weiß, dass es nicht gut ist.
Doch genau dies ist am Donnerstag in der Stadtverordnetenversammlung passiert: Ein unfertiges Konzept wurde zur Abstimmung gestellt. Dies hat man auch zugegeben: „Man wird noch nachjustieren müssen“. Der 4. Juli wird ein trauriger Tag für den Nahverkehr in der Stadt Offenbach und ich sorge mich um die Folgen dieser Kürzungen. So ist die Verkehrswende in Offenbach gnadenlos abgewürgt worden. Ja, es muss gespart werden, aber doch nicht so!
Man hat behauptet, das vorgestellte Konzept sei innovativ. Doch das ist es nicht. Man hat das „ÖPNV-Ei“ in Offenbach nicht neu erfunden, man hat einfach beim bisherigen Konzept eine Linie gestrichen und die verbleibenden Linien irgendwie dahin gebogen, wo Lücken entstehen, wobei bei Weitem nicht alle Lücken geschlossen wurden. Offensichtlich haben die Verantwortlichen gehofft, dass es keiner merkt. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
Ich will jetzt nicht auf die Berater schimpfen, denn sie wurden z. B. gar nicht beauftragt, auch den Aspekt der Sozialverträglichkeit zu berücksichtigen. Sie können auch nichts dafür, dass man ihren Empfehlungen nur bedingt folgt. Allerdings ist es heftig, dass nicht kommuniziert wurde, dass die Berater laut Medien mindestens 3 Jahre pro Jahr 200.000 € kosten werden.
Ich war in der Sitzung der Stadtverordneten im Publikum und ich greife eine Aussage von Frau Groß (Grüne) über eine „Buchhügel-Schleife“ für die Linie 101 aus meinem Vorschlag auf: Diese Schleifenfahrt im Spätverkehr gab es schon einmal von 1995 bis 2018. Sie hat die Linie 101 im Spätverkehr über die Buchhügelallee geführt, um die Erschließung dort kostengünstig sicherzustellen. Frau Groß sagte dazu, es dauerte ihr zu lange, sie sei dann nicht mehr Bus gefahren. Aber es waren stadtauswärts nur eine Minute mehr Fahrtzeit und stadteinwärts gerade mal drei Minuten. Das „zu lange“ zu nennen finde ich überheblich. Diese wenigen Minuten sind definitiv zumutbar, vor allem wenn man damit die Anbindung an die Innenstadt verbessert und diese Maßnahme zudem auch noch kostengünstig ist!
Was mir auch sehr bitter aufgestoßen ist, war die Häufigkeit, mit der Vertreter der Koa-Fraktionen wiederholt haben, das Konzept sei alternativlos und das Beste. Und es gebe keine Alternativen. Aber anscheinend hat der Magistrat weder mit der Empörung in der Bevölkerung gerechnet noch damit, dass es eben doch einen Alternativvorschlag geben könnte.
Was mich als Bürger sehr enttäuscht, sind das Fehlermanagement, die fehlende Einsicht und die fehlende Selbstkritik, dass vielleicht nicht alles, was man macht, „gut“ ist. Mich enttäuscht auch die gesamte Kommunikation rund um das Thema, die sehr intransparent ist. Man müsste viel deutlicher und detaillierter über die Maßnahmen und Ihre Folgen informieren. Stattdessen bekommen wir nur kleine Häppchen: eine Präsentation, später eine ausführlichere Präsentation, genannt „Abschlussbericht“, noch später die Fahrpläne und einige Fahrgastzahlen. Das alles ging nur Scheibchen für Scheibchen und sehr kurzfristig an die Stadtverordneten, obwohl die es ja entscheiden mussten.
Doch was erwarte ich nun von der Stadt Offenbach und der Regierungskoalition nach der Entscheidung:
- Man muss unbedingt (!) und schnellstmöglich die neuen Fahrpläne veröffentlichen, wenn sie ab 4. Juli gelten sollen, damit die Menschen eine Chance haben, sich darauf einzurichten und ihren Alltag zu planen. Es ist schließlich der vierte Fahrplanwechsel innerhalb von 18 Monaten!
- Es muss eine gute Kommunikationskampagne geben.
- Alte Fahrplanmedien (Fahrplanbücher / Taschenfahrpläne) müssen zurückgezogen werden.
- Es muss offen und ehrlich kommuniziert werden, wo es schlechter wird, wo nichts mehr fährt, insbesondere abends und sonntags (Bieber Bf., Bismarckstr. / Feldstr., Buchhügel)
Und ich habe immer noch offene Punkte und Fragen:
1. Warum ein Fünfzehn-Minuten-Takt der 108?
Viele Maßnahmen sind nicht oder nur schlecht begründet: Warum belässt man z. B. die Linie 108 mit ihrem 15-Minuten-Takt am Mainzer Ring, obwohl man dazu keinerlei Fahrgastzahlen hat? Vielleicht, weil es sich um eine neue Strecke handelt? Oder warum lässt man die 108 über den Hauptbahnhof und die Kaiserstraße eine Schleife fahren, die meiner Meinung nach unnötig ist? Oder warum gibt es keinen sinnvollen Ferienfahrplan? So wie die Fahrgastzahlen im Sommer zurückgehen (laut Abschlussbericht Juli 2019), muss ein Ferienfahrplan weitgehender gestaltet werden, als nur die V-Busse nicht fahren zu lassen. Es gab schon mal einen sinnvollen Ferienfahrplan, u. a. 1998/1999 auf der 101, trotz V-Bussen. Statt eines 7,5 Min. Takt fuhr man in einem 10 Min. Takt
Im jetzt beschlossenen Plan entstehen auch unnötige Extrakosten durch mangelhafte Planung:
2. Geänderte Linienführung der 108, wie laden?
Ein Beispiel ist die geänderte Linienführung der 108: Aufgrund der Anpassungen im Nordend wird die 108 nicht mehr wie bisher am Kaiserlei enden, wo es eine Ladestation für die E-Busse gibt. Stattdessen verbleiben dort die Linien 102, 104 und 107, wobei auf der 102 der Einsatz von E-Bussen unmöglich ist, aufgrund der Bahnüberführung in der Seligenstädter Straße. Die Folge davon ist, dass man wohl eine weitere Ladestation in Rumpenheim benötigen wird. Andernfalls müsste man die E-Busse auf der 108 im Laufe des Tages tauschen, um sie wieder zu laden. Die Kosten dafür werden nirgends angegeben. Und das Problem wird auch in keiner Weise kommentiert.
3. Was wird aus der Schulbusfunktion der Linie 106?
Ein weiteres Beispiel für mangelhafte Planung ist dieses: Die Haltestelle Tulpenhofstr. Richtung Marktplatz ist kurz vor 16 Uhr immer voller Schüler aufgrund des Schulschlusses an der Leibnizschule. Hier konnte ich bisher den Einsatz eines Gelenkbusses für die Linie 106 beobachten. Ab Juli entfällt diese Fahrt und es gibt keinen 106A-Kurs als Ersatz. Ein V-Bus ist bisher wohl auch nicht vorgesehen. Das ist nicht gut geplant, es ist unklar, wie diese Schüler und Schülerinnen befördert werden.
4. Bürgerbeteiligung Nahverkehrsplan 2023 – 2027?
Frau Groß hatte in ihrer Rede hervorgehoben, dass eine Bürgerbeteiligung geplant sei. Ich finde das auch sehr gut! Auch früher habe ich mich schon bei Bürgerbeteiligungen eingebracht. Ende 2020/2021 gab es dafür sogar ein Online-Tool. Aber was ist daraus geworden? Es gab bisher keinerlei Rückmeldung.
Und klammheimlich hat man die Mitteilung dazu überraschenderweise offline genommen!
5. Ein halbes Jahr Baustelle ignoriert? Buslinie 103: An den Eichen – August-Bebel-Ring – Prüfling?
Vom 28.03. – 30.09. gibt es überhaupt keinen Betrieb zwischen August-Bebel-Ring und Prüfling, wegen der Sperrung der Ratswegbrücke in Frankfurt. Dies ist ein besonders deutliches Beispiel für schlechte Kommunikation. Im Plan steht, dass die 103 bis Kaiserlei fährt und nicht bis August-Bebel-Ring. Auf wessen Seite es da mangelt, ist leider nicht klar.
Zur Einsparung wird berichtet, dass man 5,7 km je Kurs spart, und dass innerhalb des Zeitraumes 7.550 Kurse gefahren werden. Das macht eine Gesamteinsparung von 43.035 km. Aber nirgends steht, was man mit den eingesparten Kilometern macht. Spart man etwas oder hat man dadurch Extrakosten? Hierzu gibt es keinerlei Informationen.
6. Warum Fahrplanwechsel nicht zum Jahresende, wie von der Beratungsfirma empfohlen?
Die Kunden werden mit unnötig häufigen Fahrplanänderungen konfrontiert, sie bekommen jetzt fünfmal in zwei Jahren veränderte Fahrpläne:
- 12/2020 Fahrplanwechsel
- 09/2021 1. Welle Kürzungen
- 12/2021 Fahrplanwechsel
- 07/2022 2. Welle Kürzungen
- 12/2022 Fahrplanwechsel
Das ist definitiv zu viel und eine mangelhafte Planung!
Die Berater haben hingegen im Abschlussbericht eine Umsetzung erst zum Dezember 2022, also zum nächsten Fahrplanwechsel empfohlen, mit einer vorangehenden sorgfältigen Detailplanung. Dies wäre deutlich kundenfreundlicher gewesen. Leider gibt die Regierungskoalition der NIO, der OVB, KCW und Planmobil diese Zeit aber nicht.
7. Fahrt über die Tankstelle? Mangelnde Sorgfalt bei Erstellung von Skizzen?
Nach dem öffentlichen Aufschrei und dem Druck, der nicht zuletzt durch die Ankündigung der Caritas entstanden ist, auf eine Erneuerung des Pflegeheims zu verzichten (Offenbach-Post), wurde der Plan noch mal geändert. Den Stadtverordneten wurde zwei Tage vor der Sitzung das Dokument „Linienführung ab 04.07.2022“ zugemailt, das dann Teil des Antrags sein sollte. In diesem sind die 106A und 107 unfassbar schlampig und amateurhaft in den Plan eingefügt worden, man hat nicht einmal in der Originaldatei gearbeitet. Das macht einen sehr schlechten Eindruck bezüglich der Sorgfalt, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Man denkt sich als Bürger, „wie wichtig ist es den Verantwortlichen?“, wenn man so etwas so veröffentlicht. Wer das „verbrochen“ hat, ist nicht bekannt.
8. Welche Mehrkosten durch zusätzlichen Halt der 551 an Buchrainweiher?
Ich finde es interessant und erfreulich, dass die 551 (Bad Vilbel – Gravenbruch) nun doch an der ehemaligen Haltestelle „Buchrainweiher“ halten soll. Plötzlich geht es doch, obwohl es noch eine Woche zuvor in der Stadthalle bei der Bürgerveranstaltung hieß, man habe mit dem RMV bezüglich der 551 und X83 geredet und der RMV würde dort nichts ändern. Doch wer zahlt die Mehrkosten, die so bei der 551 entstehen?
Im Abschlussbericht warnen die Berater vor den möglichen Wirkungen von Einsparungen. Man hat der Regierungskoalition hier deutlich die Risiken aufgezeigt, daran wird sie in kommender Zeit zu messen sein müssen. Man muss gründlich beobachten, wie sich der Verkehr in der Stadt in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird. Und wie sich die Emissionen, die Zahl der PKW und die Fahrgastzahlen entwickeln werden.
9. Das 9 Euro-Ticket und die geplante Tariferhöhung?
Nun wurde das 9-Euro-Ticket beschlossen, das von Juni bis August gelten wird. Die Verkehrsverbünde gehen von deutlich steigenden Fahrgastzahlen innerhalb dieses Zeitraumes aus. Ich bin gespannt, wie sich das in Offenbach entwickeln wird. Dazu kommt, dass die Kürzungen in Offenbach auch noch genau in dieses Zeitfenster fallen werden. Das konnte die Stadt natürlich nicht ahnen, es ist vom Timing her aber unfassbar bitter.
Dazu kommt, dass der RMV eigentlich im Juli die Fahrpreise außerplanmäßig um durchschnittlich 3,9% erhöhen wollte. Was daraus jetzt wird, ob das im September folgt, ist noch nicht bekannt.
Für Offenbacher Kunden ist das natürlich ein Hohn, sie müssen erst die Verschlechterung des ÖPNV und unmittelbar darauf auch noch die Preiserhöhung ertragen.
Ich bin auf die folgenden Wochen und Monate und auf die gesamte Entwicklung sehr gespannt, insbesondere wenn wirklich alle Kunden merken, wie reduziert die Busse nun fahren.
Ich hoffe immer noch, dass man sich die ganze Sache wirklich nochmals ansieht und anpasst, denn diese Stadt hat schon so viele Fehler im Nahverkehr gemacht. Diese Fehler wären vermeidbar oder zumindest abfederbar. Warum man auf die Kritik nicht eingeht und nicht daraus lernen will, verstehe ich nicht.
Die Offenbacher Verkehrswende wird am 4. Juli beginnen, mal sehen, wohin sie uns bringt.