Heute erste Folge: Verkehrsentwicklungsplan – oder: Offenbachs nachhaltiger ÖPNV

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Berthold Brecht (Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0)
Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
(Berthold Brecht: Das Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens)



Offenbach als „nachhaltige Kommune“?

Bei der letzten Stadtverordnetensitzung mussten wir uns ja von den Grünen belehren lassen, dass Offenbachs Kommunalpolitik längst schon viel zu großartig ist, was Nachhaltigkeit angeht, als dass man sich durch popelige Zusammenarbeit mit der Landesregierung und anderen Kommunen nerven lassen müsste. Daher habe die Stadt es überhaupt nicht nötig, zusammen mit 195 weiteren Kommunen eine gemeinsame Städteerklärung zu unterzeichnen. In dieser Erklärung bekräftigen die Kommunen die Ziele der Nachhaltigkeit, die die Vereinten Nationen formuliert haben: Sie wollen sich für nachhaltige Entwicklung konkret engagieren und eigene Maßnahmen nach innen und außen sichtbarer machen. Der Städtetag hat empfohlen, diese Erklärung zu unterzeichnen, und wir hatten beantragt, das zu tun. Wir hatten auch beantragt, dass sich die Stadt an dem Programm der Landesregierung „Globale Nachhaltige Kommune“ beteiligt, das vorsieht, dass sich Kommunen gegenseitig beraten und helfen, Nachhaltigkeitsziele zu fördern. Die Grünen und die Koa-Fraktionen waren allerdings der Ansicht, dass man da nicht mitmachen müsse, weil die Nachhaltigkeit in Offenbach ja schon viel zu gut sei. „Wir haben echt Besseres zu tun!“ So wörtlich die Grünen-Rede bei der Sitzung und weiter: „Was nachhaltige Mobilität angeht, da haben wir doch schon den Verkehrsentwicklungsplan!“

Plan „A“: Der Verkehrsentwicklungsplan

Womit wir beim Thema sind! Was ist denn der Verkehrsentwicklungsplan? Ja, dazu findet man auch eine Seite der Stadt. Dort wird ausführlich erklärt, dass Bürgerinnen und Bürger eine zentrale Rolle am Planungs- und Beteiligungsprozess spielen sollen, um Grundsätze und Leitlinien für den Verkehr der nächsten 15 Jahre festzulegen. „Denn bereits heute werden die Weichen für den Verkehr von Morgen gestellt“, heißt es dort. Viele Leute haben sich beteiligt und ihre Vorstellungen eingebracht. Ja, Offenbach will die Verkehrswende vorantreiben. Herr Dezernent Weiß wird offiziell zitiert: „Es geht dabei immer auch darum, eine Kehrtwende beim stetig wachsenden Autoverkehr zu erreichen. Nur durch die Nutzung alternativer Angebote kann ein Verkehrskollaps in der Stadt verhindert werden.“ . Dort heißt es auch: „Der neue Verkehrsentwicklungsplan 2035 soll sich sehr stark an den Mobilitätsbedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger innerhalb der nächsten 15 Jahre ausrichten.“ Auch die Offenbach-Post hat berichtet und schreibt: „In Offenbach will die Stadt den nächsten Schritt bei der Verkehrswende gehen.“

Plan „B“: Konzept zur Einhaltung des Finanzierungsdeckels

Vor wenigen Wochen war die Befragung abgeschlossen. Aber über die Ergebnisse findet man auf der Webseite der Stadt nicht viel, stattdessen erst mal ein Konzept zur „Einhaltung des Finanzierungsdeckels“, (siehe auch den Artikel in der Offenbach-Post) und die Anlage für die Stadtverordneten. Vielen stadtüblichen Schönsprech kann man lesen: „Angebotsanpassung“ (übersetzt: weniger anbieten), „flankierende balancehaltende Maßnahmen“ (bitte Übersetzungsvorschläge einreichen), „Reoptimierung“ und „ÖPNV-Beschleunigung“ (übersetzt: es wird schlechter), „effiziente Optimierung von Betriebsvereinbarungen“ (übersetzt: Lohnkürzungen), „Mitarbeiter:innen mitnehmen und Motivation schaffen“ (übersetzt: Unmut wegdiskutieren), „Steuerung Stadt transparenter und effektiver aufsetzen“ (übersetzt: so tun, als ob das Bürgerwille sei) und dergleichen mehr.

Tatsächlich, parallel zur Bürgerbefragung hat ein „Lenkungskreis“ gearbeitet und einen neuen Plan für unseren ÖPNV erstellt.

Die neue gebaute Haltestelle „Wetterpark“

Aber der Knaller ist: Die Linie 106 wird komplett gestrichen und damit ein großes Gebiet auf dem Buchhügel sowie am Buchrainweiher ÖPNV-frei gemacht. Betroffen sind vor allem Fahrgäste zur Frühaufklinik, zu den Schulen, dem Wetterpark, dem Ketteler-Krankenhaus, zwei Kindergärten und der Caritas am Buchrainweiher. Und natürlich Anwohner und Anwohnerinnen. Von denen gibt es einige, die aus idealistischen Gründen ihr Auto abgeschafft hatten, um CO2 zu sparen. Motiviert wurden sie auch durch die neue Streckenführung der Linie 106, die es seit einigen Monaten gibt: Vorher fuhr die Linie 106 tatsächlich einen riesigen Umweg. Viele Anwohner auf dem Buchhügel pendeln zur S-Bahn, aber wegen des Umwegs brauchten sie mit dem Bus genauso lange wie zu Fuß. Zu denen gehören auch Helge und Annette. Annette ist jahrelang nach Frankfurt gependelt, und oft ist sie eben doch zu Fuß gegangen, wie viele Leute in der Nachbarschaft auch. Endlich wurde jetzt die Strecke optimiert, auch mit schönen, neuen, teuren Haltestellen, und seit Kurzem geht es mit dem Bus auf einmal richtig schnell. Diese fortschrittliche Neuerung hat, wie gesagt, einige Leute motiviert, ihr Auto abzuschaffen, um – je nach Wetter – auf das Fahrrad und auf den ÖPNV umzusteigen. Sie wollen auch die Verkehrswende und haben sich in gutem Glauben am Verkehrsentwicklungsplan beteiligt, den wir jetzt mal „Plan A“ nennen. Sie haben nicht damit gerechnet, dass stattdessen Plan B kommt, der heißt: „Ja es tut uns ja soooo leid, aber Eure Buslinie 106 kommt in die Tonne, ÖPNV für den Buchhügel ist zu viel verlangt!“. Sagen Sie mal der Patientin mit dem Rollator, dass sie doch gefälligst einen Kilometer latschen kann oder dass sie doch ein Taxi nehmen soll!

Wir haben von Plan B aus der Presse erfahren, im Gegensatz zu den Koa-Fraktionen, die wohl schon länger eingeweiht waren. Wie sonst lässt es sich erklären, dass die Grünen in kürzester Zeit nach der Pressekonferenz schon eine eigene Pressemitteilung zum Thema parat hatten? Oppositionsfraktionen dürfen hingegen an Magistratspressekonferenzen nicht teilnehmen. Schließlich kommen ja wieder Wahlen, und da muss man als Regierungsfraktion schon mal seine Informationsvorsprünge pflegen und ausnützen. Zu viel Transparenz wäre da nur hinderlich!

Auf der Homepage der Grünen heißt es ja auch in schönstem Neusprech: „Wir setzen … uns … für mehr Klimaschutz, eine zukunftsweisende Verkehrswende … ein.“ Was will man mehr? Etwa Taten statt Gerede?

Eine seriöse Methodik?

Uns Stadtverordneten wurde die Studie, die übrigens von einem externen Planungsbüro für 200.000 Euro erstellt wurde, dann in einer Videokonferenz vorgestellt. Es wird ja behauptet, dass nur 1,3 % der Fahrgäste betroffen seien. Wir haben nachgefragt, wie dieser Wert ermittelt wurde. Ja, man habe die Fahrgäste an den Haltestellen gezählt und dabei festgestellt, dass die 106 am wenigsten genutzt wurde. Ja, man habe da Zahlen von 2019 vor der Corona-Pandemie genommen, weil sich ja viele aus Angst vor Ansteckung nicht mehr in den ÖPNV getraut hätten. Das ist zwar einerseits richtig, aber damit hat das Beratungsbüro die Zahlen von der alten Streckenführung der 106 genommen, die ja gar nicht mehr aktuell ist. Mit der neuen besseren Streckenführung wären die Fahrgastzahlen ja ganz anders, weil sich das Nutzungsverhalten doch geändert hat. Wir halten das für einen methodischen Fehler: Es sind falsche Zahlen genommen worden, aber den Leuten wird eine Fahrgastzählung als wissenschaftliche Methodik verkauft. Wir halten daher die Zahl „nur 1,3 %“ für falsch, da sie mit einem unseriösen Verfahren ermittelt wurde.

Hm, aber was soll man machen, wenn man halt sparen und das irgendwie begründen muss.

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